KRIYAS | SHATKARMAS
Kriya heisst wörtlich: Tat, Ausführung, Mühe. Im Hatha-Yoga sind Kriyas (auch Shatkriyas oder Shatkarmas) körperliche Reinigungstechniken. Sie helfen, den physischen Körper zu reinigen, indem sie auf verschiedene Art und Weise die Ausscheidungssysteme des Körpers anregen und unterstützen.
Die Hatha-Yoga-Kriyas, auch Shatkarmas (shat =sechs Handlungen) genannt, stellen die Balance zwischen den beiden Energieströmen Ha und Tha her. Wenn dort ein Gleichgewicht besteht, fühlen wir uns im Einklang mit uns selbst.
Immer wieder werden diesen Übungen in den Yogaschriften auch spirituelle Wirkungen zugeschrieben. Der Hatha-Yoga sieht den Menschen als Einheit von Körper, Seele und Geist. Also geht es um die Reinheit der Gedanken und der Gefühle. Es geht darum, mit sich im Reinen zu sein.
In der Hatha Yoga Pradipika werden sechs Übungen beschrieben. Sie sind die wichtigsten der Kriyas, von denen es aber noch unzählige weitere gibt:
- Trataka – Augenreinigungsübung, Meditationstechnik
- Neti – Nasenspülung und Massage der Nasenschleimhäute
- Kapalabhati – Lungenreinigung durch Schnellatmung, Feueratmung
- Dhauti – Reinigung des oberen Verdauungskanals
- Nauli – Darmreinigung
- Basti – Einlauf
1. TRATAKA
Darunter versteht man das beständige Starren auf einen festen Punkt oder ein bestimmtes Objekt, wie die Flamme einer Kerze, ein Stein, ein OM-Zeichen oder ähnliches, ohne dabei mit den Augenlidern zu zwinkern. Man konzentriert sich auf den Gegenstand, bis die Tränen kommen. Die Augen dürfen nicht überanstrengt werden. Wenn sie ermüden, werden die Augen geschlossen. Die Übung wird fortgesetzt, indem das Bild vor dem inneren Auge hervorgerufen wird. Die Augen werden erneut geöffnet, bis wieder Tränen fliessen. Dies kann im Wechsel mehrmals wiederholt werden. Diese Übung kann allmählich gesteigert werden.
Es soll helfen, durch den provozierten Tränenfluss die Augen zu reinigen, Müdigkeit zu beseitigen und die Sehkraft zu entwickeln, Kurz- und Weitsichtigkeit zu korrigieren sowie einen zu hohen Augeninnendruck nach unten zu korrigieren. Trataka ist auch für die Entwicklung der Konzentrationsfähigkeit und die Sammlung des Geistes auf einen Punkt hin hilfreich. Sie ist eine meditationsvorbereitende Übung, stärkt den Willen und erhöht die Fähigkeit zu visualisieren. Manche Yogaschriften behaupten sogar, bei intensiver Praxis würde sich das dritte Auge öffnen (Ajna Chakra) und die Übung somit zu Hellsichtigkeit führen. Daher sei es für Schüler der verschiedenen Yoga-Wege nützlich.
2. NETI
Neti bedeutet Nasenreinigung. Sowohl die Gheranda-Samhita als auch die Hathapradipika erwähnen nur das sogenannte Sutra Neti. Bei dieser Reinigungsmethode wird ein mit Wachs versteifter Baumwollfaden oder besser noch, ein dünner Gummischlauch in ein Nasenloch geschoben und aus dem Mund wieder herausgezogen und dann massierend hin und her bewegt. Obwohl diese Reinigung die Nasenschleimhäute hervorragend reinigt, durchblutet und abhärtet, ist sie sicherlich nicht jedermanns Sache und beispielsweise undurchführbar für Menschen, bei denen jede Berührung im Rachen Brechreiz auslöst.
Heutzutage verbreiteter ist deswegen Jala Neti, die Reinigung der Nase mit Wasser. Die Nasenspülung ist das Beste, was man für die Nase und die Schleimhaut tun kann. Manche Menschen berichten, dass sie keine Erkältung mehr bekamen, nachdem sie begonnen hatten, täglich ihre Nase zu spülen. Bei Nebenhöhlenentzündungen und Heuschnupfen ist die Nasenspülung ebenfalls hilfreich, da die Nasengänge von Schmutz und Schleim befreit werden. Sie stellt auch eine wichtige Pflege des Geruchsinns dar und fördert die Heilung bei Tendenz zu Nasenbluten und nach Operationen, da sie eine Krustenbildung verhindert.
Dazu verwendet man ein Neti-Kännchen, eventuell auch eine Schnabel-Tasse. Das mit lauwarmem Salzwasser (mit ½ Teelöffel Salz auf 0,2 l) gefüllte Neti-Kännchen wird in eine Nasenöffnung geführt. Den Kopf neigt man etwas schräg nach vorne über das Waschbecken. Nach der Einatmung wird der Atem angehalten und die Rückseite der Kehle wird so zusammengezogen, wie wenn man mit Gurgeln beginnen würde. Die Salzwasserlösung läuft von selbst aus dem anderen Nasenloch wieder heraus. Die Atmung strömt nun gelassen durch den geöffneten Mund. Läuft die Lösung teilweise in den Rachenraum, dann ist die Kopfhaltung noch nicht ganz günstig und kann durch eine leichte Haltungsänderung verbessert werden. Am Ende schnäuzt man gleichzeitig durch beide Nasenöffnungen.
3. KAPALABHATI
Kapalabhati ist die Bezeichnung einer Atemübung (Pranayama) des Yoga. „Kapala“ bedeutet wörtlich Schale oder Schädel, „bhati“ heisst so viel wie Licht oder Leuchten. Diese Übung wird auch den Kriyas des Yoga zugeordnet. Im Kundalini-Yoga wird diese Übung „Feueratem“ genannt.
Kapalabhati wird in der Regel mit einer deutlichen Betonung auf der Ausatmung geübt: diese ist kraftvoll und aktiv, während die Einatmung passiv und reflexhaft bleibt. Die Ausatmung geschieht bei dieser Übung durch kraftvolles Einziehen der Bauchdecke nach innen.
Nach längerem bzw. mehrmaligem Üben kann so das Gefühl entstehen, dass der Kopf leer geworden, der Fluss der Gedanken unterbrochen worden ist. Kapalabhati wird daher auch zur Vorbereitung auf die Meditation eingesetzt. Ausserdem bewirkt die Übung ein verstärktes Abatmen von Kohlendioxyd, wodurch im Atemzentrum der Anreiz zum Einatmen verringert wird. Das wiederum ermöglicht längere, mühelose Atempausen und ist daher zur Vorbereitung der Kumbhakas geeignet.
4. DHAUTI
In dieser Kategorie der Kriyas gibt es mehrere grosse und kleinere Praktiken, beispielsweise zur Reinigung der Zähne, der Zunge oder der Ohren und vor allem zur Reinigung des oberen Verdauungskanals. Manchmal wird die Spülung des gesamten Verdauungstraktes Shankaprakshalana auch zu Dhauti gezählt (Varisara-Dhauti). Vatasara oder Plavini ist absichtliches Rülpsen.
Dauti ist eine der effektivsten Kriyas. Diese Reinigungstechniken sind sehr gut gegen Husten, beziehungsweise bei beginnenden Erkältungen. Weiter helfen sie bei allen Formen von Krankheiten, die mit Verschleimung zu tun haben.
Hauptsächlich unterscheidet man zwischen:
Reinigungspraktiken des Mundes
- Jihva Dhauti – Reinigung der Zunge mit Hilfe eines Zungenschabers
- Gandusha – Spülung des Mundes mit Sesamöl für etwa 10-15 Minuten
- Danda Dhauti – Reinigung der Zähne mit einem Neem-Stäbchen oder einer Zahnbürste
Die Praktiken werden nacheinander in der hier angegebenen Reihenfolge vorzugsweise täglich geübt.
Reinigungspraktiken der Speiseröhre und des Magens
- Hrid Dhauti oder Vastra Dhauti – Verschlucken und langsames Wiederherausziehen einer Mullbinde
- Vamana Dhauti oder Kunjal Kriya (Sanskrit, von kunjara „Elefant“) – Magenspülung durch Schlucken von 1-2 Litern Wasser und anschliessendem Erbrechen
Diese Praktiken werden einzeln oder nacheinander geübt, wobei die Häufigkeit von täglich bis einmal wöchentlich variieren kann.
Eine weniger gebräuchliche Methode ist Vata-Sara-Dhauti, bei der Luft durch den schnabelförmig gespitzten Mund eingesaugt wird. Die Luft im Magen wird anschliessend durch den Anus herausgepresst.
5. NAULI
Die Übung soll der Reinigung der Verdauungsorgane (Dünndarm) dienen und basiert auf einer Massage der inneren Bauchorgane durch die kreisförmige Bewegung der Bauchmuskulatur. Nauli (sowie auch Agnisara) sind im Gegensatz zur Darmreinigung für den täglichen Gebrauch gedacht, um die Verdauung zu unterstützen und zu beschleunigen, die Verbrennung zu erhöhen und Verspannungen im Bauchraum zu lösen. Eine der alten Schriften der Yogatradition, die Hatha-Yoga-Pradipika, preist Nauli mit folgenden Worten: „Nauli ist die Krönung der Hatha-Yoga-Kriyas, sie stimuliert die Verbrennung, erhöht die Verdauungskraft und macht glücklich.“
Anleitung für Agnisara
Atme im Stehen vollständig aus. Stütze die Hände auf die leicht gebeugten Knie und ziehe den Bauch unter die Rippen hoch. Halte den Atem weiterhin an, lasse nun den Bauch locker nach unten sinken. Ziehe den Bauch wieder hoch, dann loslassen, nochmals hochziehen und wieder loslassen, bis die Einatmung fällig ist. Lockere den Bauch, richte den Körper auf und atme ein. Wiederhole dies mehrmals. Die Bewegungen mögen anfangs etwas träge sein, der Bauch lockert sich aber nach und nach, und die Bewegungen werden zunehmend schneller und freier.
Anleitung für Nauli
Stehe aufrecht, die Füsse ungefähr einen halben Meter auseinander. Mache Uddiyana Bandha im Stehen. Kontrahiere den geraden Bauchmuskel und isoliere ihn in der Mitte des Unterleibs. Dieser Vorgang wird Madhyama Nauli genannt. Wenn du das beherrschst, bringe den obengenannten Muskel auf die linke Bauchseite. Das ist Yama Nauli. Bringe den Muskel zur rechten Bauchseite. Das ist Daksina Nauli. Wenn du dies alles beherrschst stehe in Uddhiyana Bandha und versuche die geraden Bauchmuskeln von links zur Mitte und dann nach rechts in sanfter Bewegung kreisen zu lassen. Wiederhole diese Bewegung in schneller Folge so oft wie möglich während du den Atem anhältst (nach intensiver Ausatmung). Entspanne nun die Bauchmuskeln und atme ein. Wenn die Atmung wieder normal ist, wiederhole den Vorgang, rolle die Muskeln aber jetzt von rechts nach links. Übe jede Runde, solange du den Atem anhalten kannst. Übe 6 Runden dreimal von links nach rechts und dreimal von rechts nach links.
Kontraindikationen
Bei allen entzündlichen Prozessen und Geschwüren im gesamten Bauchraum sowie bei Tendenz zu Brüchen (Hernien) im Bauchraum. Starke Verstopfung ist eine Gegenanzeige wie auch hoher Blutdruck und Schwangerschaft.
6. BASTI
Basti (Sanskrit für basti oder vasti „Harnblase, Unterleib“) dient zur Reinigung des Dickdarms. Der Name kommt daher, dass im alten Indien Harnblasen toter Tiere für Einläufe benutzt wurden. Es werden hauptsächlich zwei Varianten unterschieden:
Jala-Basti
In der traditionellen Variante steht man hierfür bis zum Nabel in einem vorzugsweise fliessenden Gewässer. Man nimmt eine hockende Position ein (z. B. Utkatasana) und saugt durch das fortgesetzte Kontrahieren und Entspannen des Beckenbodens und des Anusschliessmuskels Wasser in den Darmbereich ein. Durch die Praxis von Nauli wird der Darm gespült und anschliessend das Wasser wieder ausgeschieden. Um das Einsaugen des Wassers zu erleichtern kann auch ein kleines Röhrchen ein Stück weit in den After eingeführt werden. Jala Basti soll Probleme mit den Nieren, dem Magen und dem Darm beheben.
In der Hatha Yoga Pradipika steht dazu: „Vastikarman (Basti) im Wasser regelmässig praktiziert, verleiht den Körperteilen, den Sinnen und dem Geist Glanz. Es lässt den Körper erstrahlen, stimuliert das gastrische Feuer und elimiert alle Beschwerden.“Die moderne Variante und die des Ayurveda ist ein herkömmlicher Einlauf. Diese Version ist zwar wesentlich einfacher zu praktizieren, birgt jedoch bei fortgesetzter Praxis die Gefahr des Entstehens von Darmträgheit. Jala Basti wird oft auch im Zusammenhang mit einer Fastenkur geübt. In diesem Zusammenhang werden besonders die mentalen Wirkungen dieser Übung wie Ausgeglichenheit und verbesserte Konzentrationsfähigkeit deutlich. Auch spirituelle Erlebnisse sind hierbei möglich.
Shushka-Basti
Hierzu begibt man sich auf seiner Yogamatte in eine sitzende Vorwärtsbeuge (z. B. Pascimotanasana) und führt einfach die Kontraktion und Entspannung des Beckenbodens und der Anusschliessmuskulatur aus. Diese Praxis regt die Verdauung an und hilft gegen Verstopfung und Blähungen. Überdies gilt diese Übung als wirkungsvoll zur Reinigung der Nadis.